Prüfungsschema zum Antrag nach § 123 VwGO zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bis zur endgültigen Entscheidung in solchen Hauptsachen, die keine Anfechtungsklage oder Normenkontrollverfahren sind (in diesen Fällen geht § 80 V VwGO vor).
Dadurch kann in der Zwischenzeit der status quo gesichert werden (Sicherungsanordnung) oder der Rechtskreis des Antragstellers vorläufig erweitert werden (Regelungsanordnung).
Es handelt sich bei § 123 VwGO um einen ‚Antrag‘ und keine ‚Klage‘. Das Gericht fällt kein vorläufiges ‚Urteil‘. In den Fällen des § 123 VwGO hat nicht bereits die Erhebung der Hauptsache aufschiebende Wirkung (so bei § 80 I VwGO), die angeordnet / wiederhergestellt werden kann. Das Gericht kann vielmehr auf Antrag erstmalig durch ‚Beschluss‘ (§ 123 IV VwGO) bis zur Hauptsacheentscheidung…
Siehe zu den hier unter I. sehr knappen Ausführungen ausführlich das Schema: Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 I 1 VwGO).
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, wenn eine spezialgesetzliche aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt.
Liegt keine aufdrängende Sonderzuweisung vor (zuerst prüfen), richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach der Generalklausel des § 40 I 1 VwGO.
Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen ausschließlich einen Hoheitsträger in seiner Eigenschaft als Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen bzw. verpflichten (h.M. Modifizierte Subjektstheorie, teilw. auch: Sonderrechtstheorie / Zuordnungstheorie; a.A. Subordinationstheorie; a.A. Interessentheorie).
Nur dann, wenn die Frage nicht nach der modifizierten Subjektstheorie beantwortet werden kann, ist auf die anderen beiden Abgrenzungstheorien einzugehen).
Eine Streitigkeit ist nur dann verfassungsrechtlicher Art, wenn die sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit gegeben ist:
Es liegt keine spezialgesetzliche abdrängende Sonderzuweisung zu anderen Gerichtsbarkeiten vor.
Es handelt sich bei § 123 VwGO nicht um eine „Klage", sondern um einen Antrag. Daher werden die für Klagen geltenden Normen analog zitiert.
Die statthafte Antragsart bestimmt sich vor den Verwaltungsgerichten stets nach dem Begehren des Klägers (§ 88, 122 VwGO). Maßgeblich ist dabei, was der Kläger tatsächlich will und nicht der von ihm vorgebrachte Wortlaut (§ 86 III VwGO analog).
Der Antragsteller müsste vorläufigen Rechtsschutz ersuchen. Diesen gewährt die VwGO in den §§ 47; 80, 80a und 123.
Siehe zu den jeweiligen Unterschieden ausführlich die Übersicht: Arten des vorläufigen Rechtsschutzes im Verwaltungsverfahren.
Eilrechtsschutz bei statthafter Anfechtungsklage in der Hauptsache
Nach § 123 V VwGO gehen die §§ 80, 80a VwGO vor. Diese sind einschlägig, wenn der Antragsteller sich gegen einen belastenden Verwaltungsakt wendet, in der Hauptsache also eine Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) einschlägig ist.
Eilrechtsschutz bei statthafter Normenkontrolle in der Hauptsache
Rechtsschutz gegen Normen gewährt als lex specialis vorrangig § 47 VI VwGO.
Eilrechtsschutz in allen übrigen Fällen
§ 123 VwGO ist Auffangtatbestand für die sonstigen Fälle, in denen in der Hauptsache also die Verpflichtungs-, allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage einschlägig ist.
Was ist die statthafte Antragsart in Fällen des faktischen Vollzugs eins VAs?
Problemfall: Die Behörde hält sich nicht an die aufschiebende Wirkung von Widerspruch / Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt nach § 80 I VwGO und vollzieht den VA.
Auch wenn das Prüfungsprogramm sich erst in der Begründetheit unterscheidet (s.u.), sollte dem Korrektor bereits hier signalisiert werden, welche der nachfolgenden Antragsarten vorliegt.
Der Antrag nach § 123 VwGO kennt zwei Alternativen:
Der Antragsteller ist nach h.M. gem. § 42 II VwGO analog nur antragsbefugt, wenn er substantiierte Tatsachen vortragen kann, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass er insb. aufgrund eines bestehenden Anordnungsanspruchs und -grundes (s.u.) …
in einem subjektiven Recht verletzt wäre (h.M., Möglichkeitstheorie).
Der vorläufige Rechtsschutz ist akzessorisch zur Hauptsache und dient lediglich deren vorläufiger Sicherung. Die Hauptsache darf daher nicht rechtskräftig abgelehnt worden, offensichtlich unzulässig sein oder sich anderweitig erledigt haben.
Ist ein vorheriger Antrag bei der erlassenden Behörde nötig?
Im Falle der vorbeugenden allgemeinen Leistungsklage in Form der Unterlassungsklage bei drohendem VA, sowie der vorbeugenden Feststellungsklage, ist nach h.M. ein besonderes / qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis erforderlich. Dieses ist insb. gegeben, wenn in grundrechtssensiblen Bereichen irreversible Folgen drohen.
Anderenfalls ist es insb. zumutbar, den Erlass eines VAs abzuwarten und dann Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO zu ersuchen. So wird auch der nach § 123 V VwGO angeordnete Vorrang der §§ 80, 80a VwGO gewahrt.
Grundsätzlich können auch Behörden einen Antrag nach § 123 VwGO stellen. Dies allerdings nur, wenn sie die begehrte Rechtsfolge nicht durch eigenes Verwaltungshandeln herbeiführen können.
z.B. wenn das unterlassene Einverständnis einer anderen Behörde oder Gemeinde in baurechtlichen Angelegenheiten ihr kommunales Selbstverwaltungsrecht verletzt
Der Antrag nach § 123 VwGO ist grds. nicht fristgebunden (außer dies wird spezialgesetzlich angeordnet, wie z.B. § 18a IV AsylG).
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt jedoch auch, wenn die Behörde einen VA (z.B. eine beantragte Erlaubnis) versagt hat und der Antragssteller anschließend die Widerspruchsfrist (§ 70 VwGO) bzw. die Klagefrist (§ 74 I, II VwGO) hat verstreichen lassen.
Der Antrag ist ausweislich § 123 I VwGO „auch schon vor Klageerhebung", also vor Einlegung eines Hauptsacherechtsbehelfs zulässig.
In manchen Bundesländern (z.B. Bayern) wird dieser Punkt als „Passivlegitimation" zu Beginn der Begründetheit geprüft.
Siehe hierzu das Schema der jeweiligen Hauptsache (Verpflichtungs-, allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage).
Siehe hierzu das Schema der jeweiligen Hauptsache (Verpflichtungs-, allgemeine Leistungs- oder Feststellungsklage).
Gem. § 123 II 1 VwGO Gericht der Hauptsache; dahingehende Prüfung der §§ 45 (sachlich), 52 VwGO (örtlich).
Der Antrag ist begründet, soweit der Antragssteller einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 III VwGO, §§ 920 II, 294 ZPO) hat und keine Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt. In diesen Fällen kann das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen (Ermessensentscheidung).
Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn die formellen und materiellen Voraussetzungen des im Hauptverfahren geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs auf Unterlassung / Vornahme der behördlichen Handlung vorliegen.
Es erfolgt also eine summarische Prüfung der Begründetheit der Hauptsache.
Verfügt die Behörde im Rahmen eines Anspruchs über ein Ermessen, so liegt ein Anordnungsanspruch nach h.M. lediglich bei Ermessensreduzierung auf Null vor.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn besondere Eilbedürftigkeit besteht.
Dies erfordert…
Das Gericht muss nicht wie im Rahmen eines Urteils zur vollen „Überzeugung" gelangen. Es genügt gem. § 123 III VwGO, §§ 920 II, 294 ZPO, wenn Anordnungsanspruch und -grund mittels Vorbringung von Tatsachen glaubhaft gemacht werden.
Glaubhaftmachung = Art der Beweisführung, die dazu führt, dass ein Richter die behauptete Tatsache für wahrscheinlicher hält als das Gegenteil
z.B. eidesstattliche Versicherung (§ 294 I ZPO); plausibles, in sich widerspruchsfreies Vortragen eines Sachverhaltes
In der Klausur genügt i.d.R. der bloße Hinweis auf die Glaubhaftmachung mittels Vorbringung von Tatsachen.
Im Unterschied zu den §§ 80, 80a VwGO findet auch keine Interessenabwägung zwischen öffentlichem Vollzugs- und privatem Aussetzungsinteresse statt.
Diese Ausnahme wird in der Klausur zumeist anzunehmen sein.
Das Gericht trifft zwar die Sicherungs- bzw. Regelungsanordnung gegenüber der Behörde, nicht jedoch die Maßnahme selbst. Hierzu verpflichtet es die Behörde. Kommt die Behörde dieser Verpflichtung nicht nach, hat das Gericht die Möglichkeit der Androhung und Vollstreckung eines Zwangsgeldes (§ 172 S. 1, 2 VwGO).