Prüfungsschema für das nach h.M. einheitliche Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) als Abwehrrecht der Bürger gegen den Staat.
Die Glaubens-/Gewissensfreiheit ist ein ‚Jedermanngrundrecht‘ (auch ‚Menschenrecht‘), auf das sich alle natürlichen Personen – unabhängig von ihrer Nationalität – berufen können.
Auch Glaubensgemeinschaften können sich nach Art. 19 III GG auf Art. 4 I GG berufen. Sie müssen dafür nicht rechtsfähig i.S.d. Privatrechts sein. Siehe hierzu allgemein das Schema Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Art. 19 III GG.
Beispiele: Kirchen in Form von Körperschaften des Öffentlichen Rechts; nicht-rechtsfähige katholische Jugendvereine; private konfessionelle Krankenhäuser; nicht-religiöse Glaubensgemeinschaften
Die Begriffe Glaube, Religion, Weltanschauung und Gewissen sind schwer voneinander abzugrenzen.
Die h.M. (BVerfG) interpretiert Art. 4 I GG jedoch als „umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht“:
Dabei fungiert Glaube als Oberbegriff für Religion und Weltanschauung.
Die Gewissensfreiheit ist nach h.M. eine separate Gewährleistung desselben Grundrechts. (Eine a.A. sieht die Gewissensfreiheit als separates Grundrecht an, s. Problembox)
Ist die Gewissensfreiheit ein separates Grundrecht?
e.A.: (+) Ja, separates Grundrecht
(pro) Systematik: Die Gewissensfreiheit ist individualistisch orientiert, die Glaubensfreiheit kollektivistisch. Die aufgrund von Art. 140 GG geltenden, in Art. 136 – 139 und 141 WRV normierten Sonderregelungen für die kollektive Glaubensfreiheit passen nicht auf die Gewissensfreiheit. So können sich auch Personenmehrheiten nur auf die Glaubensfreiheit und nicht auf die Gewissensfreiheit berufen.
(con) Systematik: Die Glaubensfreiheit hat sowohl eine individuelle als auch eine kollektive Komponente.
h.M. (BVerfG): Nein, Art. 4 I GG ist ein einheitliches Grundrecht
Es handelt sich bei der Glaubens- und Gewissensfreiheit um dasselbe Grundrecht.
(pro) Telos: Im säkularen Staat sollen allen internen Glaubenssätzen die gleiche Bedeutung und der gleiche Schutzgehalt zukommen.
Unterschiede im Prüfungsmaßstab ergeben sich nach beiden Ansichten nicht, sodass der Streit von rein theoretischer Bedeutung ist. In der Klausur sollte daher i.d.R. ohne vertiefte Ausführungen einer Ansicht gefolgt werden.
Glaube |
Gewissen |
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Glaube = Erklärungsmodell vom Wesen der Welt im Ganzen (z.B. Herkunft, Sinn, Ziel) |
Gewissen = Moralische Haltung, die in einer konkreten Situation, an Kategorien von ‚gut‘/‘gerecht‘ und ‚böse‘/‘ungerecht‘ orientiert, subjektiv unbedingt verpflichtend bestimmte Handlung vorschreibt Art. 4 III GG ist lex specialis zu Art. 4 I GG und regelt abschließend den Vorrang der Gewissensentscheidung vor der Wehrpflicht. |
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Religion |
Weltanschauung |
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Religion = Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt und insb. seiner Beziehung zu höheren Mächten und tieferen Bewusstseinsschichten
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Weltanschauung = Nichtreligiöse Überzeugung von der Stellung des Menschen in der Welt
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Zuerst sollte das Vorliegen eines ‚klassischen Eingriffs‘ geprüft werden; nur wenn ein Merkmal nicht erfüllt ist, sollte auf den ‚modernen Eingriffsbegriff‘ eingegangen werden. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte.
Eingriff = Jedes staatliche Handeln, das zur Beeinträchtigung des Schutzbereiches führt und nach dem …
Art. 4 GG enthält (bis auf für den Spezialfall der Regelung des Wehr- und Ersatzdienstes in Art. 4 III 2 GG) keinen Gesetzesvorbehalt.
Die h.M. sieht auch in Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 I WRV keinen einfachen Gesetzesvorbehalt speziell für die Religionsfreiheit (s. Problembox).
Enthält die Religionsfreiheit einen einfachen Gesetzesvorbehalt?
h.M.: (–) Nein, kein einfacher Gesetzesvorbehalt
(pro) Wortlaut: Art. 4 I, II GG gewährt die Religionsfreiheit vorbehaltlos; Systematik: Aufgrund der sozialen Dimension der Grundrechte lediglich verfassungsimmanente Schranken (dazu sogleich).
a.A.: (+) Ja, es gilt ein einfacher Gesetzesvorbehalt
(pro) Wortlaut/Systematik: Art. 140 GG macht Art. 136 I WRV zum Bestandteil des Grundgesetzes.
(con) Historie: Art. 136 I WRV war nie als Schranke gedacht. Religionsfreiheit war in Art. 135 WRV geregelt und hatte dort in Satz 3 eine Schranke.
Enthalten Grundrechte keinen Gesetzesvorbehalt, gilt nach h.M. aufgrund der sozialen Dimension der Grundrechte stets der ungeschriebene Vorbehalt der verfassungsimmanenten Schranken. Siehe hierzu ausführlich das Prüfungsschema Freiheitsgrundrechte. Es handelt sich dabei um einen besonders qualifizierten (strengen) Gesetzesvorbehalt. Das Grundrecht kann also nur eingeschränkt werden:
(→ Ausführlich hierzu das Prüfungsschema Gesetzgebungsverfahren)
Legitimer Zweck
Mangels Gesetzesvorbehalts reicht nicht jeder beliebige Zweck aus. Einschränkungen sind lediglich zum Schutz der Grundrechte Dritter oder sonstiger Verfassungsgüter zulässig.
Geeignetheit
Das Gesetz muss geeignet sein, den Zweck wenigstens zu fördern.
Erforderlichkeit
Es darf kein gleichermaßen geeignetes Mittel zur Verfügung stehen, das milder ist (also weniger intensiv in Grundrechte eingreift).
Angemessenheit
Hier liegt in aller Regel der Schwerpunkt der Klausur. Dies sollte bei der Zeiteinteilung unbedingt berücksichtigt werden.
Die Intensität des Eingriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel des Schutzes anderer Verfassungsgüter stehen.
Urteil oder Maßnahmen aufgrund des Gesetzes.